Preis für neuen Forschungsansatz

Eva Luise Köhler überreicht den Forschungspreis für Seltene Erkrankungen 2021 am 13. Juni 2022

● Eva Luise Köhler zeichnet Wissenschaftler aus Münster und Regensburg mit Forschungspreis für Seltene Erkrankungen aus
● Bislang für die Behandlung von Bandwürmern zugelassener Wirkstoff könnte sich auch für die Regulation der Schleimproduktion eignen
● Feierliche Preisverleihung am 13. Juni 2022 in der BBAW mit Grußwort von Elke Büdenbender

Berlin, im Juni 2022. Für einen vielversprechenden Repurposing-Ansatz zur Behandlung von Mukoviszidose erhalten Professor Dr. Thorsten Marquardt und Dr. Julien Park vom Universitätsklinikum Münster sowie Professor Dr. Karl Kunzelmann von der Universität Regensburg den Eva Luise Köhler Forschungspreis für Seltene Erkrankungen 2021. Den drei Wissenschaftlern war der renommierte Forschungspreis bereits im letzten Jahr zuerkannt worden, pandemiebedingt musste die feierliche Preisübergabe jedoch mehrfach verschoben werden. Mit dem Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro werden die Forscher untersuchen, inwieweit sich der bislang zur Behandlung von Bandwürmern zugelassene Wirkstoff Niclosamid® auch für die Regulation der entgleisten Schleimproduktion bei der Mukoviszidose eignet. Dieser seit Jahrzehnten gut erforschte Wirkstoff, der immer wieder auch für die Krebsbehandlung diskutiert wird, besitzt antivirale und antibakterielle Eigenschaften, was ihn ebenfalls interessant für die Behandlung von viralen Atemwegsinfektionen wie SARS-CoV-2, dem Respiratorischen Synzytialvirus und der Grippe macht.

Mukoviszidose, auch „Cystische Fibrose (CF)" genannt, ist eine angeborene Stoffwechselerkrankung, die auf Mutationen im Gen CFTR beruht. Dieses codiert einen „Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator" genannten Chloridkanal, der den Salz-Wasser-Haushalt in verschiedenen Organen im Körper im Gleichgewicht hält. Wenn der Chlorid-Kanal nicht richtig funktioniert, entsteht ein zähflüssiger Schleim, der nach und nach lebenswichtige Organe, allen voran die Lunge, verstopft.
Mit rund 8.000 Betroffenen allein in Deutschland gehört Mukoviszidose zu den häufigsten unter den schwerwiegenden Seltenen Erkrankungen. Für einige Mutationen gibt es mittlerweile Behandlungsansätze, aber nicht für alle Patienten stehen am Basisdefekt ansetzende Therapien zur Verfügung. Die Lebenserwartung bei Mukoviszidose ist allgemein noch immer stark verkürzt.

Eine neu entdeckte sehr seltene Krankheit führt zu einer neuen Behandlungsperspektive für eine ganz andere Seltene Erkrankung

Der in Münster entwickelte Therapieansatz beruht in erster Linie auf der Annahme, dass die Blockade eines weiteren Chloridkanals (TMEM16A) zur Verringerung der Schleimproduktion bei Mukoviszidose-Patienten führen könnte. Bei der Entwicklung dieser Arbeitshypothese kam den Münsteraner Ärzten der Zufall zur Hilfe, wie Thorsten Marquardt erläutert: „Eltern stellten ein wenige Monate altes Mädchen mit einer Gedeihstörung und Bauchproblemen vor, das leider in der Folge verstarb. Wir entdeckten bei ihr und ihrem älteren Bruder eine bis dato unbekannte neue Erkrankung, die zu einem Verlust der TMEM16A-Funktion führte. Die Überraschung: Der Verlust von TMEM16A führte auch zu einem Verlust der CFTR- Funktion – ohne jedoch, dass zu diesem Zeitpunkt Symptome der Mukoviszidose auftraten. Da wurden wir natürlich hellhörig – schließlich erlebten wir nicht zum ersten Mal, dass die Neudiagnose einer Seltenen Erkrankung hilft, eine andere besser zu verstehen."

Derzeit wird der protektive Effekt der TMEM16A-Hemmung durch die Gabe des Wirkstoffs Niclosamid, der seit vielen Jahrzehnten erfolgreich zur Behandlung von Wurminfektionen eingesetzt wird und diesen Kanal effektiv blockiert, überprüft. Im Rahmen einer interdisziplinären Kooperation entwickelten Humanmediziner:innen, Physiolog:innen und Pharmazeut:innen in Regensburg eine Verkapselung des Medikaments in kleine Polyethlenglykol (PEG)-Hydrosphären. Bei der Verabreichung im Mausmodell reduzierten diese Niclosamid-Kügelchen die Überproduktion von Schleim deutlich, hemmten die Entzündung und verbesserten die Selbstreinigung der Bronchien. Nebenwirkungen, die bei systemischer Anwendung von Niclosamid auftreten können, konnten mit dieser Darreichungsform umgangen werden. Aktuell arbeiten die Forscher an der Erstellung eines detaillierten Wirkungsprofils des Wirkstoffs, zudem laufen Vorbereitungen für eine klinische Studie zur Messung von Interleukinprofilen, so genannten "Entzündungsmarkern". Sollten sich in diesen Untersuchungen Wirksamkeit und Sicherheit des Therapiekonzeptes bestätigen, könnte es künftig vielen Betroffenen zugutekommen. Besonders für die Betroffenen, die nicht von CFTR-Modulatoren profitieren, wäre das eine große Chance.

Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen arbeiten Hand in Hand

Warum das translationsstarke Forschungsvorhaben nicht nur durch den pragmatischen Repurposing-Ansatz, sondern auch durch seine besondere Patientennähe überzeugen konnte, erläutert Stiftungsvorstand Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich: „Mit Professor Thorsten Marquardt und seinem jungen Kollegen Dr. Julien Park erleben wir zwei Generationen von Ärzten, die das zukunftsweisende Modell des Clinician Scientists in nahezu idealtypischer Weise verkörpern. In der standortübergreifenden Zusammenarbeit mit Grundlagenforschern beweisen sie, dass erfolgreiche Forschung und Versorgung im Bereich der Seltenen Erkrankungen untrennbar sind und keine institutionellen Grenzen kennen dürfen."

Der Forschungspreis wird zum 14. Mal und in enger Kooperation mit der ACHSE vergeben. Eva Luise Köhler wird am 13. Juni 2022 ab 17 Uhr in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Jägerstraße 22-23, 10117 Berlin) die 14. Preisträger des nach ihr benannten Forschungspreises für Seltene Erkrankungen auszeichnen. Eröffnet wird der Festakt mit einem Grußwort von Elke Büdenbender. Bitte beachten Sie, dass eine Anmeldung erforderlich ist. Der Festakt zur Forschungspreisverleihung wird vom wissenschaftlichen Programm des 6. Rare Disease Symposiums begleitet. Auch hier ist eine vorherige Anmeldung notwendig.

Die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen

Im März 2006 wurde auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Professor Dr. Horst Köhler und seiner Frau Eva Luise Köhler eine Stiftung gegründet, die sich für Forschungsförderung im Bereich Seltener Erkrankungen engagiert. Der seit 2008 jährlich verliehene Eva Luise Köhler Forschungspreis entwickelte sich schnell zu einer der angesehensten Auszeichnungen in diesem Forschungsbereich. Durch das Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro konnten bereits dreizehn Forschungsvorhaben angeschoben werden. Durch ein Stipendiatenprogramm fördert die Stiftung zudem seit 2017 gezielt auch den wissenschaftlichen Nachwuchs. Mehr Infos unter elhks.de

ACHSE – Gibt Menschen mit Seltenen Erkrankungen eine Stimme

ACHSE e.V., die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen, ist das Netzwerk von und für Menschen mit chronischen seltenen Erkrankungen und ihre Angehörigen in Deutschland. ACHSE vertritt mit ihren mehr als 130 Patientenorganisationen deren Interessen in Politik und Gesellschaft, in Medizin, Wissenschaft und Forschung national und auf europäischer Ebene. Die einzige krankheitsübergreifende Anlaufstelle für Menschen mit Seltenen Erkrankungen in Deutschland berät kostenlos Betroffene und ihre Angehörigen sowie ratsuchende Ärzte und Therapeuten. ACHSE vernetzt, setzt sich für mehr Forschung und verlässliche Informationen ein. Der gemeinnützige Dachverband wurde in 2004 gegründet. Schirmherrin ist seit 2005 Eva Luise Köhler. ACHSE ist Mitglied in der BAG Selbsthilfe und EURORDIS – Rare Diseases Europe. www.achse-online.de

Pressekontakt:
Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen
Eva Thull, +49 177 6 64 5264, thull@elhks.de

ACHSE e.V.
Bianca Paslak-Leptien , +49 151 180017 27, Bianca.Paslak-Leptien@achse-online.de

 

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