Ich heiße Marie und bin das Gesicht hinter dem Instagram Account @marxx_25. Im Jahr 2018 habe ich eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement begonnen, die ich diesen Sommer erfolgreich abschließe! Meine Behinderung hat während der Ausbildung fast nie eine große Rolle gespielt. Zu Beginn fiel es mir aufgrund meiner Schwerhörigkeit schwer, mich in einer Klasse mit 25 Schülern einzugewöhnen.
Nachdem ich die FM-Anlage (Übertragungsanlage) bekam, fiel es mir dann etwas leichter und mit der Zeit wurde es immer besser. Ich kann fast alles barrierefrei erreichen und es wird immer darauf geachtet, dass ich meine Stationen in barrierefreien Ämtern absolvieren kann. Auch meine Kolleginnen und Kollegen zeigen Verständnis und helfen mir, wenn nötig, wofür ich sehr dankbar bin.
In meiner Freizeit spiele ich gerne Gitarre und schreibe Texte für meinen Blog. Mein Blog war und ist wie eine Therapie für mich und in meinen Augen die beste Entscheidung meines Lebens. Schon immer hatte ich das Gefühl, dass ich etwas aus „meinem Schicksal" machen möchte. Angefangen hat alles, als meine Freunde sagten, ich könne mit meiner Geschichte anderen Menschen Mut machen. So fing ich an, Schritt für Schritt meine Geschichte zu teilen. Es tut gut, seine Geschichte zu erzählen und zu wissen, dass andere davon Kraft schöpfen können. Mit jedem Beitrag bekam ich mehr positive Rückmeldungen von Menschen, denen ich mit meinen Erfahrungen tatsächlich helfen konnte – genau diese Rückmeldungen motivieren mich, weiterzumachen und anderen Betroffenen Mut und Hoffnung zu geben. Aber ich möchte nicht nur von mir erzählen. Auf meinem Kanal möchte ich anderen Kämpferinnen und Kämpfern unter uns meine Bühne schenken, denn ich finde: Jede Geschichte sollte gesehen und gehört werden. Jede Geschichte kann ein bisschen die Welt verändern. Das ist das echte Leben.
Ich habe die Seltene Erkrankung Larsen-Syndrom, eine angeborene Deformation des Knie- und Hüftgelenks, sprich eine multiple Skelettverformung mit gleichzeitiger Muskelschwäche. Da meine Knochen und Muskeln schwächer sind, bin ich tagsüber auf Orthesen angewiesen. Für lange Wege, die ich durch die Ausbildung jeden Tag habe, nehme ich den Rollstuhl. Wenn ich zu lange stehe oder laufe, fangen meine Beine bzw. Knie an zu schmerzen – und das bereits nach spätestens 15 Minuten. Momentan kann die Erkrankung nicht geheilt werden. Man kann lediglich versuchen, weitere „Problematiken" zu verhindern. Zweimal die Woche gehe ich außerdem zur Physiotherapie, um meine Muskeln zu stärken.
Über Jahre hinweg entwickelte sich bei mir eine bestimmte Art der Skoliose, eine Verdrehung der Wirbelsäure. Meine Wirbelsäule ist daher in ihrer Ausprägung s-förmig. Außerdem bin ich auf beiden Ohren schwerhörig. Davon lasse ich mich aber nicht weiter einschränken – durch tägliche Übungen zur Bewältigung von schwierigen Alltagssituationen komme ich gut zurecht. Schlimmer ist die Tatsache, dass ich 16 Jahre lang mit einem Tracheostoma leben musste. Einem Luftröhrenschnitt, der es mir ermöglichte, durch eine Trachealkanüle nachts eigenständig atmen zu können. Erst 2018 konnte mein Luftröhrenschnitt verschlossen werden – es war wie ein Wunder. Leider bekomme ich in letzter Zeit wieder schlechter Luft, so dass vor kurzem eine Ballondilation durchgeführt werden musste - dabei wird mit Hilfe eines eingeführten Ballons die verengte Stelle erweitert. Leider ging der Plan, dass ich damit wieder besser Luft bekomme, nicht auf – bald geht es daher für mich wieder ins Stuttgarter Klinikum.
In meiner Kindheit musste ich aufgrund der Verformungen viele Operationen über mich ergehen lassen. Wie viele es insgesamt waren und was genau alles gemacht wurde, möchte ich gar nicht im Detail wissen. An alles muss man sich vielleicht auch besser gar nicht erinnern. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit und die Schmerzen, die ich mit den insgesamt vier Fixateuren hatte – ein Fixateur ist eine Haltevorrichtung, die bei der Erstversorgung von Knochenbrüchen angewandt wird. Sie besteht aus einem starren Gestell und langen Schrauben. Das Gestell des Fixateurs wird außerhalb des Körpers angebracht und mit Schrauben im Knochen befestigt. Vor den Operationen versuche ich positiv zu bleiben. Im „Warteraum" vor einer Operation, wenn ich komplett nichts höre, weil ich dort keine Hörgeräte habe, denke ich an schöne Momente in meinem Leben und bete das Vaterunser. Manchmal flossen mir dort auch schon die Tränen, wenn man dort eine gefühlte Ewigkeit allein liegt und einem 1000 Gedanken in den Kopf schießen.
Durch die Krankenhausaufenthalte war es sehr schwer, soziale Kontakte zu knüpfen und Freundschaften im Kindergarten oder zu Beginn der Schulzeit zu schließen. Diese Zeit war für mich alles andere als leicht. Auch musste ich sehr früh erfahren, dass ich viele Dinge nicht mitmachen konnte und oft verzichten musste. Ich wurde anders angeschaut, weil ich im Rollstuhl sitze und es dauerte eine Weile, bis mir diese „Blicke" egal waren und ich sie, wie heute, selbst gar nicht mehr wahrnehme bzw. es mir egal ist, was andere denken. Ich sah früh ein, dass ich gewisse Tatsachen einfach hinnehmen und das Beste daraus machen musste. Ich kann heute sagen, dass ich aufgrund meiner körperlichen Behinderung zwar einiges nicht machen konnte, dazu aber viel anderes hinzugewonnen habe. Verluste können, so hart sie in manchen Momenten sein mögen, auch eine Chance sein: Während meiner Zeit im Krankenhaus habe ich viele wundervolle Menschen kennengelernt. Menschen, die mir genau diese Zeit zu einer der besten in meinem Leben machten.
Heute habe ich zwei Orthesen, zwei Hörgeräte, einen Rollstuhl und bis vor zweieinhalb Jahren noch eine Kanüle. Ich versuche jede Aktivität mit meiner Krankheit in „Harmonie" zu bringen, denn diese gehört ganz klar zu meinem Leben. Sich mit seinen eigenen Schwächen vertraut zu machen und zu lernen, mit und nicht gegen sie zu kämpfen, das ist das Wichtigste. Durch meine Erkrankung habe ich gelernt, Hilfe von Menschen anzunehmen und die Dinge, die nicht selbstverständlich sind, mehr wertzuschätzen. Insbesondere meine Freunde, die ich im Laufe der letzten Jahre kennenlernen durfte. Gerade jetzt in der Corona-Zeit habe ich durch die Pandemie und auch die Medien vermehrt Angstattacken entwickelt. Ich versuche sie in den Griff zu bekommen, aber es ist wirklich hart. Aber ich habe mir geschworen immer weiterzukämpfen, auch wenn es mir sehr oft sehr schwerfällt.
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